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1 / 1. Teil) Sabine, 19.-23. Oktober: Bucks Lake Road Trailhead bis Nähe Chester

 

19.-23. Oktober, Tage 203-207

PCT-Kilometer 2131, gelaufene Kilometer 3636

 

Bei der Trennung von Olli am späten Nachmittag am Bucks Lake Road Trailhead standen uns die Tränen in den Augen. So lange Zeit zusammen und in einem Zelt und durch viele Höhen und Tiefen gegangen, nicht nur auf dem Trail, durch nichts abgelenkt oder abgepuffert, was man im heimischen Alltag hat. Wir versicherten uns unserer Liebe, man weiß ja nie, ob es das letzte Mal ist, und ich lief los. Sah noch, wie Olli mich weggehend filmte.

 

Ein Trailregister riss mich aus meiner Melancholie und ich trug uns, nein mich, das erste Mal alleine ein. Konnte aber nicht lassen, Olli zu nennen. King Olli.

 

Es war kalt, Bäume und Boden regennass von vorigen Tagen und es ging wieder bergauf.

 

Ich hing meinen Gedanken nach und rechnete herum, wie schnell ich in Ashland sein könnte, als mir eine eingemummte Gestalt entgegen kam.

 

Es war Martin, ein Jäger. Aber mit Pfeil und Bogen. Wie quatschten bestimmt 25 Minuten und es wurde immer kälter.

 

Erzählte ihm, dass mir sämtliche Horrorfilme eingefallen waren, als er näher kam. Meinte aber noch, dass auf dem PCT noch niemand wegen Crime, sondern immer nur wegen Wetter oder Stürzen umgekommen wäre. Er erzählte daraufhin, dass auf dem AT (Appalachian Trail) im Frühling ein Typ mit Machete 1-2 Leute nieder gemacht hätte.

 

Wir wechselten das Thema. Warum er mit Bogen jage und wo er treffe, damit es fürs Tier "gut" ist?

 

Herz und Lunge und der plötzliche blood pressure Abfall ließe das Tier dahin faden. Heute hätte er aber kein Reh getroffen. Wenn man Glück hat und eines erlegen kann, würde es entbeint, das Fleisch mitgenommen. Knochen ließe man liegen. Das war uns ja schon bekannt von den Bärenjägern, die wir in Washington getroffen hatten. Den Schädel müsse man mitnehmen, dass wolle "Fish & Hunt" so (nehme an, dass das ein Club, ein Jagdlizenzvergeber ist). Es gäbe auch bestimmte ethics. Er erinnerte an die Indianer, die mit Pfeil und Bogen gejagt hätten und überdies alles vom Tier verwendet haben. Martin, 60, und mehrfacher Opa, ist ein sehr netter Mensch. Nach einem Tipp für eine Tentsite, Selfie und Aufnehmen der Kontaktdaten verabschiedeten wir uns.

 

Tierkadaver gibt hier die Gelegenheit, geschickt auf den nächsten Tag zu kommen, meinem Weg nach Belden, nennt sich Town, liegt am Trail und hat ganze 6 Einwohner. Nach leichtem Aufstieg bei blauem Himmel und Sonne lag an schönster Aussichtsstelle mitten auf dem Trail ein Reh, kein Fleisch mehr auf den Rippen (die waren ganz blank), dafür machten es sich die Fliegen auf den in den Rippen liegenden Eingeweiden bequem. Es roch schon entsprechend. Das abgezogene Fell lag daneben einschließlich Ohren, der Schädel fehlte. Ich kann mir nicht so gut vorstellen, dass das zu den ethics gehört, von denen Martin sprach. Würde man nicht die Reste auf die Seite, ins Gebüsch schieben? So mitten auf dem Trail ... Ich werde ihm das Bild schicken und fragen. Allerdings könnten es auch andere Tiere auf den Trail gezerrt haben (dazu lagen die Eingeweide aber zu akurat in den Rippen).

 

Der mörderische Abstieg nach Belden ging über 7-8 km 1417 Höhenmeter runter (Belden liegt auf 680 m) und bescherte mir zum ersten Mal und nach so langer Zeit des Laufens am nächsten Tag Muskelkater in den Gesäßbacken ... Kurz vor Belden wieder ein Trailregister. Etliche Bekannte der letzten Zeit darin gefunden. Mich und Olli (abwesend) eingetragen 😊.

 

Der Trail führt direkt am Restaurant vorbei, das auch Zimmer anbietet. Man kommt direkt an der Tür vorbei und obwohl es schon 17.30 Uhr war, bin ich rein, an den Tresen, Mushroom-Swiss Cheese Burger mit Fries und Bier vom Hahn bestellt. Kameraakku und Handy ans Netz gehängt, Müll durfte ich auch abgeben. Das ganze Lokal samt Eingangsbereich (riesig, im Sommer gibt's in Belden auf drei Bühnen Musik während eines Festivals) war total auf Halloween getrimmt. Särge mit sprechendem Dracula, Plastiktierskelette (kein Reh), Plüsch- und Plastikspinnen aller Größen, Kisten, Uhren und alles mit üppig Kunstspinnweben verbunden. Muss ne große Party werden ...

 

Am Tresen neben mir saß Melinda und wartete auf den fischenden Mann und Schwager. Wir hatten ein sehr feines, aufschlussreiches Gespräch über Audrey Hepburn, da Melinda, wie die meisten hier, bei meinem Namen Sabine immer Sabrina verstehen (ich stelle mich nicht immer mit meinem Trailnamen Lady Magic Sunshine vor) und es ja den gleichnamigen Film mit Audrey Hepburn und Humphrey Bogart gibt. Eine tolle Liebesgeschichte.

 

Zum Gespräch über Audrey Hepburn später in einem extra Blogeintrag, wo ich auch noch ein paar filmische Feinheiten vom Trail mitteilen werde, z.B. wo "Wem die Stunde schlägt" (nach Ernest Hemmingway) mit Cary Cooper und Ingrid Bergman gedreht wurde - wir waren dort ...

 

Melinda, berentete Social Workerin, 2 erwachsene Söhne, selbst ein bisschen gehikt und kocht gerne über offenem Feuer, war beeindruckt von meinem bisherigen Weg und dem Teil, den ich nun alleine vor mir hätte. Wir reden über wilde Tiere da draußen.

 

Sie hält es für eine gute Idee, dass ich was von der Halloween-Deko mitnehmen, um im Zelt Schatten machen zu können, um die Tiere abzuschrecken. Ich nehme jedoch nichts mit ...

 

Nach dem Essen putze ich gleich die Zähne, ist das schon mal erledigt. Außerdem trägt man ja jeden Milliliter Wasser, auch das fürs Zähneputzen. Es wurde dunkel, einen schwachen Moment überlege ich, ein Zimmer zu nehmen, aber der Preis von 106 Dollar vor Tax passt nicht mehr zum Budget. Außerdem, nach der ersten Nacht alleine - das geht nicht.

 

Verabschiedete mich nach Selfie und Kontaktdatenübergabe von Melinda, die Männer waren noch nicht eingetroffen und es war 10 vor 19 Uhr, das Lokal schloss um 19 Uhr. Gleich hinter dem Restaurant führte der Trail über eine lange Brücke. Eine one lane bridge, muss an Money Makers Eintrag in der Scout-App Guthook denken: Ampel drücken!

 

Direkt nach der Brücke ist eine große Baustelle und mit 'keep out, this area ist protected"-Schild ein weiter Bereich versehen. Kein Hinweis auf den Trail. Ich gehe also erst mal an der Straße entlang, weil laut App der Trail genau da parallel zu läuft. Es wird immer "untrailiger" und ich gehe zurück. Der Trail kann ja auch oberhalb parallel zur Straße laufen. Leider finde ich nichts in den Hikercomments in der App. Die gute Deutsche in mir war selbstverständlich nicht sofort auf die Idee gekommen, hinters "keep out" zu gehen. Was ich aber dann machte, und voilá, ein paar Meter weiter blitzte das PCT-Metallschild auf, es war nun 19.30 Uhr. Der Weg geht steil hoch, der Trail verläuft oberhalb parallel zur Straße, wie vermutet. "Ich komme hier nicht weg.", dachte ich, als ich neben dem Einstieg eine baumhohe historische Goldmühle (die ganze Gegend ist geprägt von der Goldrauschzeit) sah, das Schild las und dann die Treppen rauf ging, um sie anzuschauen. Oben hatten sich auf jeden Fall schon einmal Hiker aufgehalten, ich fand ein Outdoorsäckchen.

 

Inzwischen ließ die rote Lampe nach, wechsle zur schwarzen, die ich von Olli übernommen habe. Kann so beide im Wechsel nutzen und laden. Ich ging rüber zum steilen, sehr schmalen Trail-Einstieg und fand direkt am Boden eine "Karma Box". "Ich komme hier nicht weg!", denke ich wieder. Widme mich fast eine Stunde der Box. Ein Büchlein und verschiedene Gegenstände lagen darin. Auf der ersten Seite schrieb ein Pärchen Mitte August, sie hätten die Box an ihrem Hochzeitstag eingerichtet. Jeder, der sie findet, kann was rausnehmen, was anderes reinlegen und dann eine Nachricht ins Büchlein schreiben. Ich lese die Nachrichten von einem Truckfahrer, von Vater-Sohn-Tag-Hikern, eine Person hat einen Psalm hinterlassen ... Ich liebe solche Geschichten ...

 

Ich nahm einen Earl Grey Tee (den liebe ich auch) raus und legte einen Strawberry-Lolli rein. Dann hinterließ ich eine Nachricht (sh. Foto-Galerie, die bei besserem Netz hochgeladen wird).

 

Um 20.30 Uhr endlich weiter. 

Sehr viel und steil hoch von 2218 feet Belden auf 3632 feet zur angepeilten Williams Cabin Site, also 1414 feet = 430,98 m rauf auf 5,9 Meilen, also knapp 10 km, verteilt. Die Campsites haben manchmal Namen, von Flüssen, benannten Meadows, Bergen etc. oder wie hier nach der Cabin (in dem Fall meint das Waldhütte), die meisten sind aber einfach mit Tentsite und einem Vermerk, wie viele Zelte hinpassen (meist nicht mehr als 1-3) in der Guthook-App aufgeführt. Tent- oder Campsite meint dann auch nur eine flache Stelle im Wald oder auf offenem Bergrücken mit Aussicht, manchmal ist ein aus Steinen gelegter Firering dabei. Ich weiß durch Guthook, dass bei der angestrebten Campsite keine Cabin mehr steht. Schade, hätte Zeltaufbau gespart. "Wenn's vorher eine flache Stelle am Wegrand gibt, campe ich vorher", machte ich mit mir aus.

Sah bald nach Belden wieder ein Tierskelett, dieses Mal ohne Fell und Co.

Der Aufstieg ist schweißtreibend. Am Wegrand kam nichts. Hatte aber auch nichts dagegen, die 20 Meilen (32 km) voll zu machen. Um fast Mitternacht Uhr steht das Zelt, zwei Schluck Whiskey, Oreo Gold Minikekse und Haselnussschokolade sind ein toller Tagesabschluss. Musik von Roberta Fleck als Draufgabe (obwohl ich Akku sparen muss), Strecke für den nächsten Tag gecheckt (Wasser, Elevation, Tentsites, Besonderheiten) und Notizen zum Tag gemacht.

Dann komaartig in Schlaf gefallen.