24.-31. Oktober, Tage 208-215
PCT Kilometer 2271, gelaufene Kilometer 3776
Geschätzte Leserschaft, liebe Familie und Freunde,
ich bin euch Berichte der letzten Strecken schuldig und liefere hier jetzt erst einmal den Teil vom Highway 36/Nähe Chester bis Burney nach. Weil der Abschnitt nach Burney so anstrengend war und der nach Dunsmuir nicht weniger, habe ich nur noch selten Notizen gemacht, eher jede Minute ausgeruht, bzw. den nächsten Tag geplant, die Stille und Sonne genossen.
Deshalb schreibe ich jetzt einfach aus der Erinnerung heraus und springe dabei vielleicht auch ein wenig hin und her ... Auch möchte ich nun nach fast drei Wochen ohne Olli von den Erfahrungen, alleine zu laufen erzählen ...
Zunächst aber zu dem, was mich von Dunsmuir aus (ich bin nämlich schon bald bei gelaufenem Kilometer 4000) erwartet, wo ich nach 2 Nächten jetzt am Nachmittag des 6. November immer noch bin und diesen Blogeintrag schreibe, bevor ich, wenn überhaupt noch, wieder mal gegen Abend aushike. Hier wird es seit dem Tag vor Dunsmuir nun schon um 17.30 Uhr dunkel. Haben die hier die Zeit umgestellt, wie in Deutschland? 😉 Das Handy synchronisiert sich bei Netz ja automatisch, ich habe nichts bewusst mitbekommen.
An der Interstate 5 auf der Höhe zu Dunsmuir bin ich am 4. November um 19 Uhr angekommen und von Kelly von Kellyfish/Crossroads abgeholt worden (hatte ihr von Burney aus und am 4. vom Berg runter geschrieben). Sie bringt mich nach Dunsmuir. Toller Service. Sie hat ihr kleines Hikerdomizil 1,3 Meilen zwischen Interstate und Dunsmuir gelegen nämlich schon seit 27. Oktober geschlossen.
Der Vortex (Strudel, ich übersetz es frei mit Sog) der kleinen atmosphärischen Städte hat wieder zugeschlagen. Und was ich von Dunsmuir aus vor mir habe, fordert mich schon in Gedanken: 160 km, 16 km mehr als die letzte stretch, mehr Höhenmeter, also von 600-700 m, auf denen Dunsmuir liegt und so auch der 3,6 Meilen entfernte PCT an der Interstate 5, rauf auf 2300-2400 m, dann wieder etwas runter und dann pendeln sich die Auf- und Abstiege zwischen 1500 - 2200 m ein, also auf höherem Niveau als vor Dunsmuir. Nächste Station ist dann der Etna Summit Trailhead, der auf 1800 m liegt. Die Stadt Etna, zu der man wieder einen Hitch braucht, liegt auf 900 m.
Sagen wir es so, ich bin am Ende meiner Kräfte, am Ende meiner Zeit, und fast am Ende meiner Finanzen. Am Ende der Zeit deshalb, weil unsere Freundin Marylou in NY, die ich besuchen und unsere Sachen abholen möchte, nur ein bestimmtes Zeitfenster hat und Jule, meine Theaterfreundin aus Stuttgarter Zeiten (nun arbeitet sie für die GIZ und macht Theaterprojekte in Guatemala) zu meiner geplanten Ankunftszeit in Guatemala City ist und mich zu einem Theaterfestival mitnehmen würde. Ansonsten wohnt sie 5 Stunden von der Hauptstadt entfernt ... und, es ist jetzt einfach gut. Ich wäre wirklich gerne schneller.
Hinzu kommt: Alleine zu laufen ist etwas komplett anderes!! Man beginnt, mit sich selbst zu sprechen oder mit der Kamera (das geht ja noch, hab ich auch früher gemacht, um
Gedanken festzuhalten), aber jetzt hat es eine andere Qualität! Getoppt wurde das, als ich abends im Zelt für meine gehäkelte Biene (eines der Maskottchen, die an meinem Rucksack hängen)
unreflektiert mit Ollis Handschuhen ein Bettchen gebaut habe. Hallo! Mir fällt "Cast away" mit Tom Hanks ein, die Figur, die er spielt, ist 4 Jahre lang nach einem Flugzeugabsturz auf einer
einsamen Insel verschollen und beginnt, mit einem angeschwemmten Ball zu sprechen, dem er ein Gesicht aufgemalt hat. Aber, die Figur hat nicht nach 2 Wochen damit begonnen. Ich lache über mich
selbst. Der Mensch braucht also Gesellschaft. Wobei ich mich alleine in einer Stadt super wohl fühle. Es reicht mir scheinbar, Menschen zu sehen und mich von Zeit zu Zeit mal zu unterhalten.
Sicher macht auch die unglaubliche Stille beim Laufen emotional einiges aus. Dass ein Wald so still sein kann (wenn kein Wind weht oder ich keine Musik höre (hören kann wg. Akku), überrascht mich
sehr. Seine Ängste zu bewältigen, wenn man auch im Dunkeln hikt, ist eine weitere Herausforderung. Nachtwanderungen habe ich immer gemocht, aber jetzt ist es absoluter, auswegsloser, man kann
nicht einfach vom Berg runter.
Spuky, wenn man tiefstehende Sterne, die durch Bäume blitzen, kurz für Tieraugen hält. Oder selbst die Trailmarker, Rauten aus silbernem Blech, die im Licht der Kopflampe reflektieren, natürlich
haben sie nicht die Form von Augen, sage ich mir dann, erschrecke aber trotzdem immer wieder einmal, vor allem wenn ich in Gedanken bin. Dann fällt mir meine alte Langspielplatte der Sesamstraße
ein und darauf der Song zur Angst und dass man sich einfach ein Liedlein pfeifen oder singen soll. Pfeife und singe also nun ab und an :-) Werde die Platte daheim aus der Garage holen. Habe den
Song immer gerne gemocht.
Auch gibt es keine Arbeitsteilung mehr ...
Dennoch bin ich sehr froh, die Erfahrung des Alleinelaufens noch machen zu können. Nach 23 Ehejahren bin ich komplett auf mich alleine gestellt.
Man denkt anders nach ... Und, was sind schon 4 Wochen gegenüber den Monaten davor!
Allmählich gesellt sich dann noch Trauer dazu, ich muss ja bald von einer sehr guten und prägenden Zeit Abschied nehmen.
Zurück zum Campen am Parkplatz am Highway 36 (wo es nach Chester ging) und damit knüpfe ich direkt am letzten Blogeintrag an: Den Tag über verbringe ich am Picnictable und
erledige Zeugs, da es Internet gibt. Ich habe alle meine Kreditkarten-Passwörter vergessen, also vom Internetbanking und von der Tan2Go. Das ist mir noch nie passiert. Deshalb habe ich sie auch
nirgends aufgeschrieben. Und ich habe wirklich für alle Banken, Telefonaccounts und was man noch so hat unterschiedliche Passwörter (was ja vorbildlich sein soll). Da ich beide Passwörter
zurücksetzen muss, setze ich mich selbst schachmatt und kann das Onlinebankingpasswort (ich wollte vom DKB Giro Geld aufs DKB Visakonto überweisen) nicht erneuern, da man dies mit einer Tan2Go
bestätigen muss, an die ich mangels dortigem Passwort nicht rankomme. Ich schreibe der Bank und ich schreibe Olli, alles am Limit mit Strom. Parallel lade ich immer wieder die Powerbank ein wenig
auf, damit dann das Handy ein wenig (das Handy direkt an das Solarpanel zu hängen, wird wegen schwankender Sonneneinstrahlung nicht empholen, ich versuche es dennoch einmal, und das Handy beginnt
zu flackern, Display geht an und aus, spinnt rum). Also wieder raus damit, warten bis die Powerbank wieder ein wenig voll ist, Handy dranhängen. Zum Glück lässt sich die Sonne überhaupt
blicken. Die Zeit läuft, mir doch egal, ich bin hier in Ferien. Mich beeindrucken hier um und hinterm Picnictable aus dem tieferen Wald kommend die unglaublich vielfältigen Vogelstimmen, die ich
höre ... viel mehr als sonst. Lese später auf Schautafeln der Collins Pine Company (die PCT-Meilen hier gehen durch privaten Besitz) von deren besonderem Waldwirtschaftskonzept, das mehr
Diversität im Wald gewährleistet. Die Zeit verstreicht und das beschert mir das Kennenlernen der Besitzer der beiden Autos, die über Nacht hier geparkt hatten. Eine Frau kommt aufgelöst vom Trail
auf der anderen Seite vom Highway, wo ich gestern Abend herkam, ob ich mich in Chester auskennen würde wegen eines Krankenhauses. Nope. Ihre Freundin, paar Meilen zurück, hätte sich den Arm
gebrochen. Sie fährt davon. Man lief auch dort durch die privaten Collins Pine Wälder, die in Sachen nachhaltiger Holzverarbeitung seit 1940 unterwegs sind und kann über Dirt Roads gut an den
Trail rankommen.
Kurze Zeit später kommt Larry (über 60) per Ride mit ner Fahrerin am Parkplatz an, er hat gerade die Strecke Richtung Old Station hinter sich, die ich vor mir habe. Er ist etwas besorgt, dass ich
noch los möchte. Doch meine "Planung" macht auch Sinn, denn ich muss bis zum Boundary-Camp-Platz im Lassen National Volcanic Park kommen, ab dem man dann 19,3 Meilen (fast 32 Kilometer)
durchlaufen muss, da man sonst wieder einen Bärenkanister für diesen Teil der Strecke bräuchte (Pflicht und Ranger kontrollieren ab und zu), also wenn man innerhalb der 19,3 Meilen übernachtet.
Da ich niemals den Teil bis dahin plus die Bärenstrecke in einem Stück schaffen werde (ca. 56 km), da viel Steigung dabei ist, war nicht verkehrt, das so aufzuteilen. Allerdings kann man
natürlich früher los, damit man nicht zu lange bei Dunkelheit hikt bzw. das Zelt nicht im Dunkeln aufbauen muss. Darin bin ich jedoch geübt. Lampen aufladen hat zudem die höchst Priorität. Und
irgendwann muss man die Meilen ja laufen, so schön oder nötig (Netz) es an manchen Campsites auch ist. Sonst muss man einen Campingurlaub machen, z.B. im Allgäu, am Forggensee 😉.
Die Frau, die Larry wieder zu seinem Auto gebracht hat, fragt, ob ich einen Lift nach Chester wolle. Ich ringe sehr mit mir, lehne aber dankend ab und bekomme von ihr noch die Wettervorhersage,
da mein Handy inzwischen leer ist, die Powerbank auch, die Sonne weg und ich entschieden habe, ohne Guthook-App (GPS-Karten auf Handy) zu laufen, nach Wegzeichen und den zuvor mit der Fotokamera
vom Handy abfotografierten, natürlich nun nicht mehr interaktiven Karten (die Akkus der Fotokamera sind selbstverständlich auch immer aufgeladen!). Abfotografiert zeigen sie also nicht mehr an,
wo ich mich befinde, also wüsste ich nicht, wo ich bin, wenn ich mich verlaufen würde und wie der Trail dann zu meiner Position läge, um dorthin zurück zu finden. Aber, eine grobe Orientierung
machen sie schon möglich. Ich habe Lust auf dieses Abenteuer. Wenn ich nicht weiterkomme oder am Weg zweifle, kann ich ja jederzeit einen Schlafplatz suchen und es am Tag versuchen und auch
Powerbank und Handy neu laden. Dieses aufs Handy starren und sich des Wegs versichern, ist mir auch zunehmend auf den Geist gegangen ... Natürlich ist es manchmal in unklaren Situationen nötig,
aber man schaut viel zu oft darauf, statt zu gucken, zu überlegen und den Weg zu entdecken. Man macht sich wieder von einer Maschine abhängig. Man hat nach so langer Zeit ja auch eine Ahnung, wie
der PCT angelegt ist, wie er in etwa aussehen "muss", außerdem meist Wegzeigen (natürlich nicht immer das PCT- Logo, sondern auch mal blaue (Oregon) oder eben blechfarbene Rauten) am Baum oder
Pfahl oder Zeichen anderer Hiker, wenn der Verlauf fraglich wird. Klar, diese Zeichen, oft Pfeile aus Holzstücken oder Steinen am Boden, sind nun in der späteren Saison teilweise nicht mehr gut
zu erkennen, anders die Steinmännchen, die oft die Fortsetzung des Trails auf der anderen Seite einer Dirt Road markieren. Larry nimmt meinen Müll samt der einen kleinen leeren Gascartouche mit.
Ich frage auch nach Toilettenpapier. Larry gibt. Er selbst will die Nacht im Auto verbringen, da er müde ist und eine vierstündige Fahrt vor sich hat.
Vernüftig. Ich muss an James und seinen toten Bruder Henry denken. James und die Mutter Adriana hatten wir im Spanish Creek Motel in Quincy getroffen, sie hatten die Sachen des verunglückten
Familienmitglieds aus dem Auto geholt ...
Ich komme nach 24 km bei der Boundary Campsite nachts an, sie liegt auf 1700 - 1800 m und es ist eine der wärmsten Nächte seit längerem. Quelle ist auch da. Super Platz. Laufen ohne
Guthook hat prima geklappt, der Trail war ziemlich gut markiert. Ich habe nur zweimal auf die abfotografierten Karten geschaut. Am nächsten Tag laufe ich die 19,3 Meilen bis zur Boundary-Campsite
am anderen Ende. Am Rucksack hängt das Solarpanel mit Powerbank. Higlight auf dem ganzen Abschnitt ist der Terminal Geysir. Ich halte mich über eine Stunde dort auf. Dampf meterhoch, brodelnde
Geräusche und mitten drin auf einem heißen Felsen, man soll nicht zu sehr an den Rand gehen, schon gar nicht mitten rein, gibt der Dampf immer wieder ein türkis farbenes Handtuch, eine Dose, die
wie ne Bierdose aussieht und einen Müllbeutel mit Chipstüte frei. Ich rufe, ob da jemand ist. Nein. Zu gern wüsste ich die Geschichte hinter dem Handtuch und der Getränkedose, beides liegt so da,
als würde demnächst jemand von der Toilette zurück kommen.
Es ist sehr warm, bis heiß, ich laufe bis zum Boiling Springs Lake und mache im Schatten Pause. Es scheint hier nicht nur die Sonne von oben zu wärmen ..., es riecht auch schon seit längerem nach
Sulfur, auch schon vorm Geysir - Hydrothermal Area ... Der ebenfalls, aber heller türkis farbene See kocht an vielen Stellen. Die Erde davor ist rot. Ein toller Farbkontrast. Lade mit der
Powerbank das Handy und nutze Guthook ab nachmittags wieder. Die Wegzeichen hatten sich von silbernen Blechrauten, zu gelben Kreisen, zu roten Rauten verändert, da aber weit und breit keine
anderen Trails in Sicht waren, konnten sie nur den PCT markieren. Die letzten Meilen vor der Boundary-Campsite am anderen Ende der "Bärenstrecke" führen durch endlose und kühle Meadows. Ich komme
um 21.30 Uhr an und zwei Zelte und ein Cowboycamping-Hiker hatten sich schon niedergelassen, um das Ganze in die andere Richtung zu laufen. Der Cowboycamper ist noch wach. Kurzer Talk, wo er noch
ebene Plätze gesehen hätte. Ich baue auf, will eine Schnur an einem mehr als armdicken Baum befestigen und hab den ganzen Baum in der Hand. Der sandige Boden hält ihn nicht mehr. Die Heringe
meines Zeltes drücke ich tief in den Boden, es ist windstill und das wird halten, Steine zum Sichern liegen keine herum. Ich werde jetzt auch keine mehr suchen. Esse lecker, schlafe ein. Morgens
lerne ich Storybook, Tasty und Lemon Heel kennen. Lemon Heel war der, mit dem ich am Abend gesprochen hatte. Er heißt übrigens so, weil er seine Blasen an der Ferse mit Zitrone geheilt hat,
sanitized and healed. Das Mädchen, Storybook, hat ihren Namen daher, dass sie den Trail wie ein großes Geschichtenbuch empfindet (kann ich nur bestätigen), Tasty - er kocht einfach gerne und
lässt sich wie wir einiges einfallen, um den Trail auch essenstechnisch zu genießen. Alle drei raten mir, statt in Old Station, was der Plan war, eher in Burney und dort dann bei der Kirche zu
übernachten.
Old Station ist in zwei Teile geteilt, den unteren (nordwärts laufend gesehen) und den oberen. Vor allem der untere mit kleinem Hotel und Store sei zum Einkaufen eher mau, im oberen gibt es die Rim Rock Ranch, da hatte Dusty für 70 Dollar übernachtet, das JJ's Cafe mit gutem Essen und Shakes, und die Fill Up Gasstation, bei der man besser einkaufen könnte, aber es sei pricy. Ich peile also nur ein Essen bei JJ`s und den Einkauf an der Tanke ein.
Ich laufe zügig die Strecke am Hat Creek entlang und komme kurz nach 15 Uhr an. Wieder eine Enttäuschung. JJ's macht in der Spätsaison um 15 Uhr zu, in Guthook stand 19 Uhr als frühere
(off-season) Schließzeit. Melissa ist aber bereit, mir noch kalte Sandwiches zu machen, Bier auszuschenken. Ich könne mich auch hinten in den Außenbereich setzen, und solange bleiben, wie ich
wolle, wenn sie vorne alles zugemacht hätte. Sie ließe auch den Router fürs Wifi an, denn mit "mobile Daten" bekomme ich mal wieder kein Netz. Vor dem Cafe gäbe es Steckdosen zum Laden und hinter
einem Holzkasten verborgen einen Wasserhahn zum Füllen der Flaschen (beides Hauptthemen von Hikern). In der Hikerbox finde ich noch mashed potatoes mit bacon und beans. Ich bestelle gleich 2
Sandwiches, eines mit Avocado und eines mit Turkey, und zwei Bier vom Hahn von der local Fallen River Brewery, zwei verschiedene, versteht sich. Das 2. Sandwich wäre eigentlich für morgen früh.
Ich esse aber beide gleich, hervorragend, einmal ist grüner Salat, einmal Coleslaw (Krautsalat) dabei. Letzteren hebe ich mir fürs Abendessen auf. Bier vorzüglich. Ich habe einen Platz in der
Sonne und komme in der Bankangelegenheit weiter: Ich muss neu registriert werden und kann die neuen Daten nur per Brief an meine Heimatadresse bekommen. Witzig! Gut, abheben kann ich mit der
Karte noch ein wenig, auch etwas überziehen. Bis dahin sind die Daten hoffentlich bei Olli, der sie mir durchgeben kann, damit ich wieder Online-Zugang auf meine DKB-Konten habe und Geld
vom DKB-Giro und aufs DKB-Visa-Kartenkonto überweisen kann.
Um 17.30 Uhr (noch wird es erst um 19 Uhr dunkel) geh ich zur Tanke rüber und kaufe ein, gerade so viel, dass es mir bis Burney reicht. Gas, denn inzwischen ist auch die zweite Gascartouche fast
leer, vergesse ich (das wird mir eine Lehre sein und macht mir klar, wie wichtig mir warmes Essen und ein warmes Getränk ist. Cold soaking, was etliche Hiker machen, ist überhaupt keine Option
für mich). Larry, der Inhaber, bezeichnet sich als Workaholic, außer an der Tanke arbeitet er seit 32 Jahren für denselben Chef als Securityman. Ich trinke zum Abschluss noch 2 Midnight Oil
Kaffee - super gut, er lässt mich in seinem Büro sitzen. Es liegt ein Packen Geldscheine vor mir. Ewig freut mich dieses Vertrauen. Es ist inzwischen kalt draußen. Je nachdem, wo man in
Nordkalifornien läuft, kann der Temperaturkontrast sehr stark sein ... Auf dem Klo putze ich mir mal gleich wieder die Zähne, ihr wisst, jeden Milliliter Wasser für seine Angelegenheiten trägt
man ...
Auf dem Weg bis zum neuen Trailregister, mein Ziel für heute, 10, 12 Meilen, also so um die 20 Kilometer, für die ich mindestens 4 Stunden brauche, liegt die Lavacave. Da es
dort drinnen dunkel ist und man nur mit Lampe rein kann, sage ich mir, die guck ich noch an. Bin dort wieder eine Stunde, lese die Tafeln, Rucksack lasse ich davor stehen. Dann weiter und hoch
zur Hat Creek Rim mit Outlook, an dem ich natürlich nichts mehr sehe. Die Rim wird sich aber noch viele Meilen den nächsten Tag hinziehen und das Hat Creek Tal werde ich am nächsten Morgen
wiedersehen. Ich möchte einfach weiter. Am Outlook mit Parkplatz steht aber ein Toilettenhäuschen mit zwei Toiletten, rechts davon ist ein Parkplatz für Ausflügler. Die Toiletten hier gelten laut
Guthook als die saubersten und so war es auch. Die Häuschen sind von der Tagessonne her immer sehr warm und, da es inzwischen wieder recht kalt und windig war, überlege ich, einfach im Häuschen
meine Matte aufzuschlagen. Nein, ich laufe weiter. Das Laufen in der Dunkelheit kann je nach Topographie unglaublich beruhigend sein. Wenn ich oben laufen und nicht in dichtem Wald (die ich
Hänsel und Gretel-Wald getauft habe), ist es sehr beruhigend. Wenn die Temperatur wärmer ist, fühle ich mich auch sicherer, als wenn sie kalt ist - muss mal einen Psychologen fragen ;-)) Ich
treffen eine Kuhfamilie mit 2 Kälbchen und erschrecke nicht, da ich in Guthook von "weird cows" gelesen hatte. Die ganze weitere Strecke ist von Kuhfladen übersäht, sehe aber keine Kühe mehr.
Komme tatsächlich bis zum Trailregister, das Freund Money Maker in Guthook wieder mit blumigen Worten gewürdigt hat. Der Weg dahin war sehr steinig, uneben und anspruchsvoll und ich bin gestürzt
(hat nichts mit der Nacht zu tun, wäre tagsüber genauso möglich). Ein Tier hatte den Trail unterhöhlt, ich bin eingebrochen und trotz Stöcken auf die Knie gefallen. Konnte mich aber ganz gut
abfangen. Unter Pinien finde ich einen ebenen Platz, es ist nach Mitternacht, kochen, essen, Salbe auf Knie.
Den nächsten Tag über geht es weiter über die sonnige und windige Hat Creek Rim und Kommentare in Guthook wie "nicht mal Satan würde diese Rim hiken wollen" lassen erahnen, wie
es hier im Sommer brennen muss. Mir reicht die Hitze, die ich abbekomme. Muss auch immer mindestens 50er Sonnercreme benutzen, sonst bin ich dauerrot im Gesicht, ist halt alles immer um die 2000
m hoch. Außerdem ist die Strecke wasserarm, man muss für zig Meilen das Wasser mitschleppen. Am Telekommunikationsturm mache ich Pause, trinke das letzte Wasser. Etliche Meilen später soll der
Watercache 22 sein, ein Tank, den ein Privatmann unterhält, auf Spendenbasis. Der Tank ist gleich neben dem für die Kühe, von denen ich keine einzige sehe. Das Becken, in das das Wasser für die
Kühe läuft, ist oberflächlich gefroren. Man sieht auch zuerst den Cattletank, da der andere hinter einem Holzzaun versteckt ist. Ein Trailregister gibt es beim Cache auch. Ich trage uns auch hier
wieder ein. Habe fest vor, in Deutschland für die Weiterunterhaltung des Caches Geld zu spenden. Es ist gegen 16 Uhr, ich laufe weiter.
Und so noch zwei Tage, ohne jemanden zu sehen. Sehr schön ist die Strecke über die weite, von vulkanischem Gestein geprägte Hochebene nach der Hat Creek Rim. Da ich inzwischen immer öfter das Solarpanel am Rucksack hängen habe, ich habe eine gute Möglichkeit gefunden, es zu befestigen (war sonst Ollis Job), habe ich genug Akku und höre Musik, Kate Bush, Cat Stevens, Tangerine Dream, Roberta Flack ... Der Sonnenuntergang ist outstanding. Weiter.
Etwa 10 km vor Burney schlage ich mein Zelt auf, unter mir unglaublich viel Herbstlaub. Es wird eine sehr kalte Nacht, das Wasser in allen Flaschen ist, obwohl sie im Zelt waren, gefroren. In der Sonne lasse ich es morgens schmelzen, stoße mit dem Messer das Eis in der Flaschenöffnung durch und mache kalten Kaffee (habe ja kein Gas mehr). Er schmeckt, doch wärmt er nicht, haha. Ich habe AT&T und beantworte oder kommentiere erst einmal alle Nachrichten von Familie und Freunden. Um 11 Uhr ist mir so warm, dass ich aufbreche. Die Strecke ist wunderschön und die Herbstblätter schimmern im Sonnenlicht. Bevor man an einer Electricity Plant vorbeikommt, überquert man schon Rohre, in denen Wasser rauscht. Unter einem Baum steht ein Plastikstuhl, auf dem steht "Have a seat under the tree of knowledge." Knowledge kann nie schaden und ich sitze mindestens eine halbe Stunde, trinke und esse was und antworte meiner Freundin Scarlett (Lehrerin) zu ihrem Schulwechsel. An der Electricity Plant, deren Gebäude irgendwie an ein Schlösschen erinnert, kommt mir eine spazierende Frau mit den Worten entgegen "Where have you been?", als würde man sich ewig kennen. Wir kommen ins Gespräch, sie meinte, dass sie sich wirklich wundert, dass hier um diese Zeit noch ein Hiker langkommt. Ich erkläre die Chose. Ich sei aber nicht ganz die einzige ... Sie würde mich sofort nach Burney fahren, ich sage ihr, ich wolle per Trail an die Straße nach Burney kommen. Sie nickt verstehend ... Wenn sie aber in anderthalb Stunden dort zufällig lang käme, hätte ich nichts dagegen, von ihr die 5-7 Meilen nach Burney gebracht zu werden. Wir lachen und verabschieden uns. Die Leute sind einfach herzlich und nett. Ich komme an einem wunderbaren See mit Picnictablen und Klohäuschen, die ich aus der Entfernung sehe, vorbei. Ich sehe auch einen Pelikan auf dem See.
An der Straße nach Burney bin ich um 16.30 Uhr. Ich habe mir für die etwa 10 km sehr viel Zeit gelassen. Brian stoppt by nach 5 Minuten Daumen raus. Er hat schon viele Hiker gefahren. Er kennt den Pastor der Word of Life Church, einer Freikirche, die Mitglieder der Community vereinigen sich im Glauben an Jesus und seine Taten. Brian textet den Pastor an, der zurück, ich könne in einer Stunde rein in die Gymnastikhalle der Kirche, wo sie Hiker übernachten, kochen und duschen lassen. Super. Brian fährt mich zum Burney Sporting Goods - ich kaufe sofort eine große und kleine Gaskartouche. Brian sagt, als ich mich überschwänglich bedanke "Thatˋs the only thing we can do for you guys, which do this amazing trail." Larry, der Pastor, ist bereits da, als ich rüberlaufe, er weist mich ein. Den Schlüssel hätte ein anderer Hiker, Martin, ein Deutscher. Ich stelle meine Sachen ab. Der Tisch in der Küche ist übersäht mit Hikerutensilien. Ich wolle zum Chinesen nebenan. Ich soll die Tür zuziehen, wenn ich gehe. Er hoffe, es klappe, dass ich dann über Martin wieder reinkomme, ich soll dann laut an die Tür der Halle klopfen. Ich schreibe Martin einen Zettel und lege ihn auf den Küchentisch, meine Telefonnummer ist auch drauf. Larry ist immer unter Strom, wie ich die nächsten Tage merke. Halloween und einige Aktionen stehen an. Sie sammeln Geld und warme Kleidung für homeless people und richten ein Halloweenspektakel für die kleinen Kinder aus, ein sicheres ;-). Arbeiten mit der Feuerwehr zusammen, die ein scary event für die Großen macht. Gespendete Candies (Snickers ...) füllen mehrere Boxen.
Ich hätte Glück, Dienstag bis Donnerstag hätte das Kirchencafe auf und dort gäbe es alles, Latte, London Fog, Mocha, Cappuchino ... Das freut mich für den Morgen. Ich solle mich dann morgens auch im Kirchenbüro registrieren, das ist ein Ordner, in dem entweder eine Kopie des Ausweises oder des Führerscheins abgelegt wird, Datum und Trailname drauf. Im Chinesen esse ich, habe Internet, trinke Wein. Um 21 Uhr macht wieder alles zu. Drüben vor der Halle treffe ich Martin, der ein Telefonproblem hat, der hätte mich also nie anrufen können. Brian fragt per SMS nach, ob alles geklappt hätte. Ja, schreibe ich mit Dank zurück. Die Menschen hier haben doch eine große Herzensbildung und das unprätentiös und unaufdringlich. Einfach einfach.
Martin und ich reden bis 5 Uhr früh. Maschinenbauingenieur, Arbeit hat er gekündigt. Er war eine Woche in der Halle, hätte auf Päckchen gewartet. Um 5.50 Uhr geht sein Bus nach Redding, von dort zum Flughafen, dann nach Neuseeland, wo er einen anderen Trial laufen wird. Martin hat ein paar Hundert Meilen Nordkalifornien nicht gemacht und die Strecke vom Hart Pass in Washington bis zur kanadischen Grenze fehlt ihm auch noch, er hatte keine Genehmigung, um über die kanadische Grenze zu laufen, er ist von der kanadischen Seite her an den Terminus gegangen (eigentlich auch nicht erlaubt, da der Terminus auf amerikanischem Boden steht ;-)). Dann ist er zurück zum Hart Pass gefahren und läuft seither southbound und hat nun sein Ende in Burney. Er sei eigentlich auch ein "Fertigmacher" (wie ich), es sei aber wohl sein größter Sieg über sich selbst, dass er es jetzt hier mit dem PCT gut sein ließe. Er hätte sich auch nicht mit der Verlängerung des Visums auseinander gesetzt ... Wie weit ich gehen würde, welche Risiken ich eingehen würde, um den PCT abzuschließen. Ich sage, weit. Hätte aber das gute Wetterwindow und sei schon im Frühjahr bei weitaus schwierigeren Verhältnissen gelaufen. So crazy wie die Leute, die die Sierra im Mai, Juni komplett im Schnee und bei Minusgraden über Tage und Wochen (Frostbeulen, Rescues ...) gemacht hätten, sei ich aber nicht. Man müsse aber auch wissen, wann man den Kampf gegen sich selbst verloren hat, sage ich lachend und meine: Ich hätte aufgegeben, meine Energie darauf zu verwenden, mich davon zu überzeugen, dies oder jenes früher aufzuhören. Schlussendlich sei ich mit meinen Entscheidungen immer glücklich gewesen.
Martin sagt mir noch, dass das Licht in der Dusche nach 7 Minuten ausgeht, also besser nicht gerade unter dem Wasser stehen, der Bewegungsmelder ist direkt davor ... Ich übernehme noch einige Nahrung von Martin.
Martin und ich sind nun über WA in Kontakt, er ist gut in Neuseeland angekommen.
Morgens im Cafe treffe ich die bemerkenswerte Bon(nie) und ihren Mann Ron, der zuvor schon in die Halle kam mit Washer und Dryer auf nem Rollwagen, die den Hikern nächstes Jahr zur Verfügung stehen werden. Da weiß ich noch nicht, wer er ist. Martin ist weg.
Bon und Ron sind retired. Ron war in Vietnam. Bon war Kriminologin und hat noch vieles mehr gemacht, z.B. gesungen, u.a. die Grizzabella im Musical "Cats". Der Kaffee ist wunderbar. Wir haben sofort eine Ebene, denselben Humor. Als ich erzähle, ich wolle jetzt zum Laundromat und mich dort hinter der Maschine kurz umziehen, um alle dreckigen Kleider in die Maschine zu werfen (von der Gymnastikhalle hatte ich loaner Klamotten dabei), protestieren sie heftig und ich kann die Wäsche bei ihnen zuhause waschen. Bon fährt mich dann zum Safeway und holt mich mit vollen Taschen wieder ab. Mangels kleiner Whisky-Flaschen nehme ich eine der 0,2 Kirschwasser-Flaschen mit, die bei den Utensilien zum Mixen stehen (?). Seit uns Cowboy Will in der Sierra den Whisky geschenkt hatte, füllen wir die Flasche immer wieder auf. Ein Schluck am Abend oder Mittag tut einfach gut, nicht nur, wenn man auf dem Pferd sitzt 😁.
Dann fahren wir zu den Burney Falls, an denen kommt der Trail indirekt vorbei, man kann einen kurzen site trail hinlaufen (und sollte das auch tun!!!), ich freue mich aber, die Falls abgekoppelt ansehen zu können und wenn ich aushike nicht gleich wieder einen "Aufenthalt" zu haben. Bon und Ron laden mich danach in Annaˋs Küche zum Abendessen ein. Wir haben eine wunderbare Zeit. Ich interviewe Ron zu Vietnam und anderem. Ich bleibe zwei weitere Nächte in der Halle. Werfe Geld in die dortige Donationbox. Arbeite in der Küche (Blog und mehr), Ron gab mir den Tipp, die Backöfen an- und aufzumachen. Wenn dann die Tür zur Halle zu ist, wird es richtig warm in der Küche.
Auch John, der Housekeeper mit dem imposanten Schnauzbart, ist sehr hilfreich, er gibt mir 2 Polster für meinen Hüftgurt vom Rucksack, damit der nicht weiterhin unangenehm auf den Hüftknochen drückt, auf denen kein Fett mehr sitzt.
Am zweiten Abend kommt eine Jugendgruppe um Morgan und Amanda "we have our youth here every Wednesday". Hat Larry wohl vergessen zu sagen. Ich hatte mich in der Küche total ausgebreitet und Morgan und Murphy, ein Vater, schnippelten Tomaten, Zwiebeln, Gurken und Paprika zwischen meinen SD-Karten und dem Stand-alone-Kopiergerät, bereiteten Sour Creme und Guacamole vor, brieten Hackfleisch an. Hund Tucker interessierte sich für Rucksack und Stöcke. Amanda war bei den Kids in der Halle. Ich räumte schnell alles zur Seite. Sie hatten gefüllte Tacos auf dem Speiseplan und luden mich ein. Das war toll, ich wollte nämlich gerade zur Pizza-Factory laufen, was ich dann sein ließ. Inzwischen kamen Hänsel und Gretel, zwei weitere Hiker aus Deutschland, an der Halle an, aßen auch mit. Das Geschwisterpaar Astrid, 25, und Lowik, gerade aufm Trail 18 gewoden, waren echte Southbounder und wollten bis Dezember durch sein. Die Sierra hatten sie vorgezogen, gut so, da liegt jetzt dick Schnee. Ich machte mit Morgan, 35, der nicht mehr arbeitet, und vom gesparten Geld lebt, ein Interview über was einen so antreibt. Amanda machte mit den Kids im Alter von 9-15 ein Quiz zu Halloween, manche spielten Ball. Morgan und Amanda trainieren die Kids in verschiedenen Ballsportarten. Einige Kids sprachen mich an, wollten wissen, was ich mache, einigen war der PCT ein Begriff. Ich blühte richtiggehend auf, da ich doch selbst sehr viel mit Kids und Jugendlichen arbeite und mir das offensichtlich fehlt. Später, als die Halle wieder ruhig war, machte ich ein Interview mit Hänsel und Gretel. Am Morgen kamen Bon und Ron nochmals ins Cafe, Bon hatte keinen Dienst, aber wir wollten uns nochmals sehen, sie waren auf dem Weg nach Redding, um Blutplasma für Leukämiekranke zu spenden. Ich lernte auch noch Ken, den Senior Pastor kennen. Er zeigte mir den Kirchenraum, Flügel, Schlagzeug, Mikros, volle Ausstattung. Olli wird ja nächstes Jahr in Burney aufschlagen. Ich kontaktiere ihn kurz. Ja, er sei gerne bereit, dann im Gottesdienst zu spielen, auch gerne seine eigenen Stücke. Vielleicht etwas aus der RockOper. Ken spielt Gitarre, sein Sohn Schlagzeug. Das werden wir Kris erzählen ;-))
Nach drei Nächten und fast drei Tagen mit herrlichem Kaffee und Begegnungen bringt mich Kathy vom Sekretariat an den Trailhead, Ron und Bon wünschen mir per SMS nochmals alles Gute. Egal, wo ich Probleme hätte, ich solle mich melden. Sie kämen sofort. Es ist mal wieder abends, 17.50 Uhr.
(Vom Geysir und dem Boiling Springs Lake gibt es Foto- und Filmaufnahmen mit der Fotokamera, aber wegen leerem Akku keine Handyfotos. Müsst euch also noch etwas gedulden.)