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4) (Nachtrag) 31. Oktober - 6. November: Burney bis Dunsmuir

Bibel, neues Testament, am Wegpfeiler
Bibel, neues Testament, am Wegpfeiler

 

31. Oktober - 6. November, Tage 215-221

PCT Kilometer 2416, gelaufene Kilometer 3921

 

Die Strecke, die ich bis Dunsmuir vor mir habe, ist ca. 144 km lang.

Um 17.50 Uhr werde ich am Trail an der CA 299 von Kathy von der Kirche Word of Life verabschiedet. Sie findet einen guten Platz für meinen Beutel mit Sourdough-Brotscheiben unter der Schnalle an der Seite vom Rucksack. Ich war mal wieder auf Brot umgestiegen, für das es aber im Rucksack einfach keinen Platz mehr hatte ;-)) Es ist eine herzliche Verabschiedung, ich schaue dem Auto hinterher, mache ein Losgehselfie und finde am ersten Wegmarker gleich eine Bibel ...

Trotz der Uhrzeit bin ich noch 11,7 Meilen, 19 km, gegangen. Oberhalb vorbei an den Burney Falls, die ich ja schon mit Bon und Ron besucht hatte, und über den bald danach kommenden imposanten Damm. Dazwischen gab es aber, nach etwa 7 Meilen hinter Burney, eine große Tentsite mit Toiletten und laut Comments Wasser, nehme Toilettenpapier mit ;-), hatte ich vergessen zu besorgen und war nur noch ein Rest im Beutel.

Das Zelt habe ich ca. um 0 Uhr aufgebaut, Cat Stevens dabei gehört und spicy Erdnüsse und Karotten als Vorspeise genossen, dann Uncle Ben's Reise mit Edamame (Sojabohnen) gegessen, den ich mit kleinen Stücken Swiss Cheese aufpeppte, Cadbury Milk Chocolate und nen Schluck Kirschwasser gab's hinterher. Inzwischen höre ich im Zelt oft die Christmas Songs in der Interpretation von Roberta Flack. Ein größeres Tier schreit ein paarmal recht heftig, naja ist ja auch Halloween. Ich überlege, was ich mache, wenn das Schreien, also das Tier näher kommt. Habe Gaskocher, Feuerzeug und Messer parat. Das Geschrei kommt jedoch glücklicherweise nicht näher.

- 3 Grad Celsius, 1:15 Uhr fallen die Augen zu.

 

Morgens 8:30 Uhr wache ich bei dünner Eisschicht im Zelt innen auf. Ein Squirrel fiept fordernd, dann pfeifend, dann ist es weg. Als ich das Wasser aus einer der Wasserflaschen, die ich jetzt immer im Zelt habe, in den Topf gieße, bildet es oberflächlich eine Eisschicht im Topf!!

Erst mal gibt es Kaffee und den Rest der Schokolade. Der Sekundenkleber hat die Brille nur zwei Tage zusammen gehalten, die Bruchstelle ist wieder offen und das Plastikglas droht heraus zu fallen. Ich repariere die Brille mit dem elastischen K-Tape. Dann Streckencheck, nach 1,5 Meilen, 9,7 Meilen und 17.3 Meilen vor der angestrebten Campsite bei 20 Meilen gibt es gute Wasserstellen. Die Elevation soll hoch von 3100 auf 5400 feet, also 2300 feet = 700 Höhenmeter. Es ist kalt und ich mache im Zelt meine Notizen, während die Sonne weiter rauskommt. Die Straße ist zu hören. Die Sonne setzt sich 9:44 Uhr durch. Ich esse Brot mit Salami, trinke heiße Schokolade. Laut Forecast soll es heute 21 Grad Celsius werden.

 

Laufen, laufen, laufen. Möchte schnellstmöglich in Dunsmuir ankommen. Martin und Hänsel und Gretel haben die Strecke jeweils in 3,5 Tagen geschafft. Gut, die sind 35, 25 Jahre alt und Hänsel gerade 18 geworden. Bei mir werden es 4,5 Tage werden, ich bin 52.

Der Mount Shasta begleitet einen jetzt immer wieder, schneebedeckt, über 4000 m hoch.

Die nächste Nacht wird sehr windig, das verkünden die Böen auf den letzten Metern zu einem Platz an einer Dirt Road, wo ich zelte. Kein Baum über mir, kann also auch nichts runter kommen. Es ist ja in diesem Hikerjahr ein Hiker von einem Baum erschlagen worden.

 

Auf der nächsten Tentsite habe ich beste Sicht, hinter mir eine Dirt Road und ein Strommast, vor mir das waldige Tal. Am nächsten Morgen genieße ich einen umwerfenden Sonnenaufgang. Es gibt AT&T und ich kann ein paar Grüße und Fotos an die Familie verschicken. Ein Mountainbiker radelt vorbei, zwei Autos passieren.

Am Mc Cloud River, den Tag bevor ich in Dunsmuir ankomme, treffe ich Joe and Tochter Carsun Cloud, die mit zweitem Vornamen nach dem River benannt ist. Wir stehen am Lagerfeuer, in dieser Schlucht (gulch) ist es saukalt. Carsun ist 17 und tanzt in der Bandaloop Dance Company, mit Sitz in Oakland. Sie machen vertical dance, tanzen an Wolkenkratzern oder sonst wo in der Höhe, erregen damit großes Aufsehen und setzen sich u.a. für soziale Gerechtigkeit ein, sehr erfolgreich.

Unter dem Namen findet man die Company im Netz und auch kurze Videokostproben: Atemberaubend. Da ist die Sierra nichts dagegen!
Trotz großem Lager um das Feuer herum bleiben die beiden nur zwei Tage, Carsun hat Proben am Montag. Alles, vom großen Kocher mit Töpfen,  übers Zelt, Matten, Angelzeug, bis hin zu Taschen/Behältern voller Essen haben die beiden mit dem Handkarren über eine Meile auf der Dirt Road zum Fluss runtergeschoben von da, wo das Auto parken darf. Früher konnte man an den Platz bis kurz vor den Mc Cloud River hinfahren. Um Mensch und Natur zu schützen war dies verändert worden ... Es gibt auch eine Pittoilette (Plumsklo) hier, die einen traurigen Anblick bietet: In den Ecken alles voller Hikermüll, z.B. leere Packungen von Mountain House freeze dried food, Flaschen, Dosen. Ich nehme Toilettenpapier mit ;-)
Joe war mit seinem Vater oft hierher zum Angeln gekommen. Er lasse die Fische dann meist wieder frei, da er eine Allergie auf Fisch hat. Carsun ist zum ersten Mal hier. Ich mache ein Interview mit Joe, der sich in Borneo für die Urbevölkerung und den Umweltschutz einsetzt und verhindert, dass große Staudämme o.a. gebaut werden oder große Firmen aus Profitgier, Land und Leute ausbeuten.
Sie haben viel zu viel dabei und schenken mir 2 indische Linsengerichte, ein koreanisches Reisgericht, Äpfel, Mandarinen, Milch, Cranola, das Killer-Granola heißt, und Sardinen. Ich muss also keinen Kartoffelbrei essen, den ich noch von Martin übernommen hatte. Den Brei schleife ich noch mal weiter durch. Aufs Frühstück und Kaffee mit Milch freue ich mich schon jetzt.
Joe begleitet mich zur Brücke über den imposanten Mc Cloud River und ich laufe noch lange im Dunkeln. Seit wann wird es schon um 17.30 Uhr dunkel? Lampen sind aufgeladen und ich möchte bis zur Tentsite 10 Meilen weiter kommen, ebenfalls an einem Parkplatz mit Pittoilette und am Fluss. Es wird immer kälter. Um den Platz zu erreichen, muss man nach einer Brücke einen halben Kilometer vom Trail weg in die andere Richtung gehen, das ist es mir wert. Erst am nächsten Morgen sehe ich, dass weiter auf dem Trail links runter zum Wasser auch Plätze gewesen wären. Auf der Seite, wo ich jetzt rauskomme, gibt es gleich am Wasser einen schönen Platz, aber der Fluss ist sehr laut, außerdem wurde überall hingeschiessen und die "leave no trace"-Regel nicht beachtet, Papier war nicht vergraben worden. Ich gehe etwas weiter bergauf: Wo "Zivilisation" ist, ist Dreck. Ich laufe Richtung Toilettenhäuschen, um die beste flache Stelle zu finden und finde einen Feuerring voller Fastfoodplastik-doggy-bag-Müll. Glasscherben überall. Abstoßend. Weil es sehr kalt ist, habe ich vor, mir das Häuschen anzusehen und, wenn es ähnlich sauber sein sollte, wie einst am Hat Creek Outlook, würde ich mich glatt drinnen niederlassen und den Zeltaufbau sparen, und es wärmer haben. Im Schein meiner Lampe reflektieren rote und weiße Lichter, ein Truck o.a. großes Fahrzeug muss da stehen. Ich mach ne Kehrtwende. Angst ergreift mich. Mir kommen wieder sämtliche "bösen" Filme in den Kopf, u.a. der mit Michael Douglas, in dem seine Filmfrau von einem Truckfahrer entführt wird ...
Also doch unten am Fluss mit Scheiße. Ich reinige den Platz und baue in Windeseile auf, immer wieder mit Blick nach hinten ... Musik kann ich nicht hören, Akkustand zu niedrig, muss auf Nummer sicher gehen und sparen. Endlich im Zelt esse ich Brot und darauf die herrlichen Sardinen ...
Um 7 Uhr bin ich draußen und mache erst einmal ein Fußbad im eiskalten Fluss, das tut gut, macht wach und härtet ab. Dann Frühstück: Killer-Granola, was soll denn da gekillt werden, die Müdigkeit, Körperschmerzen, mentale Erschöpfung? Ach, ne Madarine rein, n Stück Apfel und dann mit Milch statt mit Wasser und Milch auch noch in den Kaffee. Dann ist die 0,2 l-Packung leer. Die Sonne lugt raus, ich lege das Solarpanel aus. Ein Mann, ein Hund und hinterher ein Frauchen kommen vom Toilettenhäuschen herunter - sie fragt als allererstes, ob ich o.k. sei und ob ich etwas bräuchte. Das waren die Horrorbewohner des Campers, wie sich nun herausstellte ... Ich bedanke mich herzlich. Sie gehen weiter, ich mache etwas Gymnastik, schieße ein paar Fotos, mache ein paar Filmaufnahmen, halte Gedanken in Ton fest. Bei all dem komme ich um 11:11 Uhr erst weg. Diese Schnapszahl veranlasst mich gleich dazu, 2 Schluck Kirschwasser zu nehmen. Ich laufe los. Das Leben ist schön.
Wieder geht es steil hoch, ich habe genug davon. Oben an einer Wegkreuzung steht das liebe Paar, Hund Coco stürmt - man kennt sich ja nun - gleich auf mich zu, sie sei friendly ... kein Zeichen für den Trail. Die Frau wusste aber von vorigen Tagen, dass der rechts rüber geht, sie läuft ein paar Meter mit, sie legt einen Pfeil aus Ästen. Nett. Hoch, hoch und wieder hoch. Ich wiederhole in Gedanken mein Holländisch-Sprachwissen, will der Familie in der Gruppe "Familienkurzschluss" mal bald wieder etwas in de nederlandse tal hinterlassen.
Mein Zeitgefühl geht verloren. Ein Tag verschmilzt mit dem anderen. Die immer gleichen Handgriffe, die Reihenfolge wird wenig abgewandelt. Irgendwann habe ich Netz und sehe, dass Jeremiah mir lustige SMSe schreibt. Das war der "durchgeknallte" jüngere Typ, der uns den zweiten Teil der Strecke nach Quincy gefahren hat, zwischen Holzscheiten und Spinnen, der fand, dass die Nordkalifornier die harte Arbeit machen und die Silicon Valley Leute lediglich Bits und Bytes verkaufen. Er ist Koch am Buckslake und liebt, was er tut ...
 

Am Tag, an dem ich Dunsmuir erreichen wollte, hatte ich durch die vom Vortag hängen geblieben Kilometer und nen Rechenfehler statt 16 km noch 27 km nach Dunsmuir. Ich wollte tags zuvor eigentlich 30 Meilen, also 48 Kilometer, schaffen, aber nach 41 km war Schluss. Stundenlang Steigung, hab mir die Elevation-App wohl in zu kleinem Maßstab angeschaut 🤔 (Olli kennt das), dachte es geht früher runter. Es gab etliche Passagen, wo der Trail überwuchert war oder zum Abhang hin ausbröckelte und ich wegen Abrutschgefahr langsam machen musste.

Nach Dunsmuir ging es dann durch den Wald in Serpentinen runter, von 4600 auf 2100 feet, wieder ca. 800 Höhenmeter. Es ist dunkel, zw. 18 und 19 Uhr. In Burney hatte ich Kellyfisch von Crossroads, schon geschrieben, ob sie mich an der Straße nach Dunsmuir abholen und die dreieinhalb Meilen in die Stadt fahren könne. Ja, ich solle mich dann, wenn es so weit ist, melden, ich hätte am Hang nach Dunsmuir runter auf jeden Fall Empfang. Crossroads ist eine kleine "Hikerinsel", 1,5 Meilen vom Trail entfernt, zwischen da, wo man an der Straße nach Dunsmuir rauskommt (Interstate 5) und Dunsmuir selbst, mit Platz für bis zu 20 Hikern, Außendusche, Außenküche, paar Schlafplätzen in der Garage oder in einem kleinen Häuschen, einem Trailer - dem Aquarium -, einem Lagerfeuerplatz, geringe Kosten mit Frühstück. Sie hatte seit 27. Oktober geschlossen, bot aber noch an, auch im November Rides nach Dunsmuir zu geben, so stand es in Guthook.

Um 19 Uhr konnte ich abschätzen, wann ich unten bin und textete Kelly ne Nachricht. Just da hörte ich oberhalb von mir stapfende Geräusche und von oben rollte etwas herunter, Stein, Ast - keine Ahnung. 4 Meilen/6 km vor der Interstate 5, die man schon sehr deutlich hörte, kam ich um die Kurve, schaute in die Richtung hoch und mich schauten zwei Knopfaugen in ca. 7 Meter Entfernung an. Das Wesen war aufgerichtet und mannshoch und blieb stehen: Ein Bär! - Und das ohne Olli. Ich war sehr überrascht, 3921 km keinen Bären gesehen, aber nun, da ich alleine laufe. Wir starrten uns an und vor Schreck sagte ich "Hey, what's going on here, bear?!", bin dann zügig weiter gelaufen und habe mit den Stöcken Krach gemacht. Foto habe ich natürlich sein lassen. Es ist schon outstanding, wenn du um die Biege kommst und dich aus 5-7 m Entfernung zwei Knopfaugen anblitzen. Etwas später habe ich beim Laufen beim Perllan House (altes walisisches Wort für orchard/Obstgarten) angerufen, wo ich übernachten wollte und nach nem Zimmer gefragt und dann dem Betreiber Sas vom Bärenencounter erzählt. Sein Kommentar: "The local bears are no troublemakers. They even come sometimes down hanging above our trash cans." Da bin ich aber froh, dass es offensichtlich ein local bear war :-)

Kelly hat mich bei den Zuggleisen abgeholt, die 3 Meilen nach Dunsmuir zum Perllans gefahren. Dort hab ich schnell im Aloha-Zimmer eingecheckt (lovely Ehepaar Sas and Janice). Dann in der Brewery fantastischen Elk(Elch)Burger, Suppe und zwei Bier genossen. Uff. Asrael und Saphire am Grill und die Koreanerin Trinity hinter der Biertheke kennengelernt. Dann ein Vollbad genommen.